Nach dem massiven Corona-Ausbruch bei Tönnies & Co. steht seit Wochen die Fleisch-Industrie unter Generalverdacht. Gravierende Missstände – die zwar nicht neu, aber offenbar auch nicht wirklich im Bewusstsein der Konsumenten verankert waren – zeigen sich unter dem Brennglas der medialen Aufmerksamkeit in vollem Umfang. Die Politik gibt sich angemessen schockiert, der Ruf nach neuen Gesetzen und schnellen Lösungen, befeuert auch durch den Druck von uns Konsumenten, erfährt Widerhall. Zurecht, wie ich finde! Denn die schwarzen Schafe sind seltenst im Handwerk angesiedelt, sondern in der Industrie und gehören reguliert. Geradezu grotesk wird es allerdings, wenn die neuen Regularien genau das Gegenteil von dem bewirken, was sie sollen und die Falschen treffen: Nämlich dann, wenn Gesetze so formuliert werden, dass Metzgerhandwerk und Industrie sich nur anhand der Gesamtmitarbeiterzahlen voneinander abgrenzen und keine weiteren Kriterien vorgesehen sind! Zuletzt habe ich in meiner Funktion als Obermeister in vielen Gesprächen zu erklären versucht, dass wir in Bayern noch die Strukturen haben, die bundesweit gewünscht sind und dass wir gemeinsam alles dafür tun sollten, diese – ausdrücklich gewünschten – Strukturen zu erhalten.
Mir ist schon klar, dass es einfach ist, in Schablonen zu denken – etwa indem man Eigenschaften wie „klein/groß“ oder „lokal/multinational“ als Abgrenzungskriterien verwendet. Aber handwerkliche Betriebe wie der unsere kennzeichnet im Gegensatz zur Fleischfabrik vor allem eine eigenständige Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsweise. Ein einfaches Beispiel: Einmal pro Woche schlachten wir in unserem eigenen Schlachthaus. Zuletzt waren es 30 Strohschweine, drei Rinder und drei Schafe. Zum Vergleich: Bei „Marktführer“ Tönnies sind es alleine 30.000 Schweine – pro Tag. Ist Handwerk also das Gegenteil von Industrie? In vielerlei Hinsicht ist das tatsächlich so! Kleine und mittelständische Metzgereien haben sich ihre Eigenständigkeit in hohem Maße bewahrt und wissen, was sie tun. Wenn ein erfahrener Metzger Fleisch betrachtet, interessiert ihn die Geschichte (Herkunft, Haltung, Genetik, etc.). Er malt sich die Verwendungsmöglichkeiten in der Küche oder zur Wurstherstellung aus. Aus dieser Beziehung zum Fleisch heraus besitzen Handwerksmetzger wie ich eine andere Bindung zum Schlachttier. Denn sie wissen ganz genau: Nur wer die Tiere artgerecht und gut behandelt, erhält hochwertiges Fleisch. Wer in einem Handwerksbetrieb aufgewachsen ist oder seine Lehrzeit verbracht hat, dem wurde gelehrt „Fleisch ist ein Lebensmittel, das eine besondere Wertschätzung verdient“. Während bei Tönnies jeder Mitarbeiter nur eine Aufgabe erfüllt, beherrscht ein Metzgergeselle idealerweise von der Schlachtung bis zur Feinkostherstellung alles. Für eine solche Arbeitsweise benötigt man gut ausgebildete Fachkräfte, während sich eine hochgradig automatisierte und arbeitsteilige Produktion auch mit aus Niedriglohnländern angeworbene Arbeiterkolonnen bewerkstelligen lässt. Wenn erst mal einer anfängt, mit seiner Marktmacht die Preise zu drücken, dann ist „Geiz geil“ und Billigfleisch aus dem Discounter die Regel. Wenn aber alle Beteiligten – vom Bauern bis zum Arbeitnehmer – ihren fairen Lohn und fairen Preis erhalten würden, dann kann das Ergebnis zwar nie billig sein, aber „preis-wert“. Metzgereien machen das seit vielen Jahrhunderten so. Und damit lange bevor man das modern ausgedrückt als „lokale Waren- und Wirtschaftskreisläufe“ definierte. Wer – wie im aktuellen Gesetztes-Entwurf vorgesehen – entgegen Logik und besserem Wissen, alles über einen Kamm schert, schert sich nicht um die Unterschiede zwischen zwei völlig unterschiedlichen Ansätzen. Denn der Unterschied zwischen Fleisch-Industrie und Metzgerhandwerk ist faktisch gravierend und keineswegs nur an der Mitarbeiterzahl festzumachen. Nicht umsonst scheint Tönnies vorzubauen: lt. Handelsregister wurden zuletzt Vorratsgesellschaften – wenig einfallsreich durchnummeriert von 1 bis 15, mit gleicher Tätigkeit, gleichem Betriebssitz und gleicher Geschäftsführung – gegründet – ein Schelm, der Böses dabei denkt…
Die Politik ist gefragt, nun endlich an den richtigen Stellschrauben zu drehen, anstatt die Falschen mit abzustrafen. Nicht auf der einen Seite das regionale Handwerk erhalten und fördern wollen und auf der anderen Seite Gesetze beschließen, die das Gegenteil bewirken. Die Belastungsgrenze des Metzgerhandwerks ist erreicht!